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Haiti: Trotz alltäglicher Gewalt kämpfe ich für die Gesundheit der Patient*innen

Priscille Cupidon

Ich arbeite als Ärztin in Haitis Hauptstadt Port-au-Prince. Täglich prägen Schusswechsel zwischen bewaffneten Gruppen und der Polizei das Stadtbild.

Vor einigen Jahren begannen die Auseinandersetzungen in Haiti. Mittlerweile hat sich die Lage zu einem kriegsähnlichen Zustand entwickelt. Die Gewalt in Haiti hat zugenommen, nachdem die Verschiebung der Wahlen auf August 2025 bekannt gegeben wurde. Das führte zu verstärkten Angriffen auf staatliche Einrichtungen.

Gewalt macht Grundversorgung kaum noch möglich

Die anhaltende Gewalt hat Port-au-Prince in eine humanitäre Krise gestürzt. Die Gewalt breitet sich aus wie ein Lauffeuer und zwingt immer mehr Menschen zur Flucht aus ihren Vierteln, nachdem ihre Häuser niedergebrannt oder geplündert wurden. Tausende haben Zuflucht in Schulen oder Kirchen unter unwürdigen Bedingungen gesucht. Andere bleiben in ihren kaum noch bewohnbaren Häusern und sind täglich dem Kreuzfeuer und weiteren Plünderungen ausgesetzt. Selbst der Zugang zu Trinkwasser ist mittlerweile ein Problem, da die Versorgung in einigen Gebieten nicht mehr sichergestellt werden kann. Gleichzeitig sind einige Stadtteile menschenleer, weil sich der Konflikt ausbreitet.

Mit unserem mobilen Team versorgen wir Menschen in besonders von Gewalt betroffenen Stadtteilen. Die direkten und indirekten Auswirkungen der Gewalt auf die Gesundheit unserer Patient*innen sind gravierend, von chronischen Krankheiten bis zu psychischen Traumata. Am 19. März besuchten wir ein Viertel im Stadtzentrum, das wir seit Ende Februar nicht mehr erreichen konnten. Die medizinischen Bedürfnisse sind enorm, besonders da reguläre Gesundheitseinrichtungen kaum noch zugänglich sind.

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Es brennt auf dieser Straße in Port-Au-Prince
Blick auf das Stadtzentrum von Port-au-Prince und die Zerstörungen durch die vielen Kämpfe, die dort stattgefunden haben. Im Dunkeln fährt jemand auf einem Moped an einem Feuer auf der Straße vorbei.
© Corentin Fohlen/Divergence

Frauen leiden besonders unter der Gewalt

Die Situation für Frauen, die Gewalt, einschließlich sexualisierter Gewalt, überlebt haben, ist besonders prekär. Viele sind zurückhaltend, darüber zu sprechen, was sie erleben mussten - teils aus Angst vor weiterer Bedrohung, teils wegen der Stigmatisierung. Wir setzen alles daran, ihnen in unserer Klinik für sexualisierte Gewalt Sicherheit und Unterstützung zu bieten. Dort können die Frauen über ihre Erlebnisse sprechen und die nötige Hilfe erhalten.

Medizinisches Personal als Zielscheibe von Gewalt

Haitis Gesundheitssystem steht kurz vor dem Kollaps. Seit Jahren arbeiten Menschen in Gesundheitsberufen in Haiti in einem schwierigen Umfeld. Wie andere Berufsgruppen sind auch die Beschäftigten der medizinischen Versorgung im Zuge der Verschlechterung der Lage zur Zielscheibe von Gewalt geworden. Viele Mediziner*innen haben das Land bereits verlassen, und diejenigen, die geblieben sind, kämpfen täglich darum, ihre Arbeit fortzusetzen. Die verbleibenden medizinischen Einrichtungen sind überlastet und können den täglichen Anforderungen kaum noch gerecht werden. Krankenhäuser sind an den Grenzen ihrer Kapazität oder funktionieren nicht mehr. Das ist besonders fatal für Frauen mit Risikoschwangerschaften.

Haitis wichtigster Hafen und Flughafen sind nun geschlossen, und die Dominikanische Republik hat die Beschränkungen an der Grenze zwischen den beiden Ländern verschärft. Angesichts der Unruhen der letzten Wochen könnte sich die Ausreise von Fachkräften aus Haiti, einschließlich Ärzt*innen und anderem Gesundheitspersonal, beschleunigen, sobald Ausreisen wieder möglich sind.

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Ein Mensch läuft allein auf einer Straße, neben ihm Spuren der Zerstörung und Gewalt.
Blick auf den Stadtteil Delmas 18 in Port-au-Prince nach Kämpfen zwischen bewaffneten Gruppen und der Polizei.
© Corentin Fohlen/Divergence
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Menschen stehen in der Notaufnahme und Patient*innen werden behandelt.
Ein Blick in die Notaufnahme im Krankenhaus von Cité Soleil, wo Menschen in Folge der Gewalt behandelt werden.
© Réginald Louissaint Junior
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Eine Schubkarre wird von zwei Menschen über die Straße geschoben.
Zwei Menschen schieben eine gefüllte Schubkarre über die verwüstete Straße im Stadtteil Delmas 18 in Port-au-Prince.
© Corentin Fohlen/Divergence
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Ein Berg aus Müll und Dreck qualmt auf dem Bild und im Hintergrund ist ein Mensch auf eiem Moped.
Wir blicken auf einen qualmenden Berg aus Dreck und Müll im Stadtteil Bel Air in Port-au-Prince. Ein Mensch auf einem Moped fährt durch die Überbleibsel die Verwüstung.
© Corentin Fohlen/Divergence

Einen Weg finden

Wir, die in Haiti verbleiben, setzen alles daran, der Bevölkerung zu helfen. Doch auch wir benötigen Unterstützung, insbesondere unsere psychische Gesundheit, weil wir so viel Gewalt und Grausamkeit erleben. Wir streben danach, zumindest ein Stück der Ruhe wiederzugewinnen, die wir vor einigen Jahren noch hatten. Wir wollen uns nicht einsperren müssen, wenn wir nach der Arbeit nach Hause kommen. Wir wollen unser Leben leben. Das ist ein Recht, das wir aktuell verloren haben. 

Wir hoffen gemeinsam einen Weg zurück in ein friedliches Leben zu finden.